Oben und unten – Die Kunst der Dienstleistung
Als der Kölner Künstler Carsten Höller 1996 seine
Ausstellung Glück mit diversen,
seitens des Publikums „benutzbaren Geräten“ ausstattete, stand auch zugleich
das Resümee im Raum: „Der glückliche Mensch bleibt …“ ein unvollendetes
Projekt. Immerhin war es aber Höllers Ansinnen, den Charakter „seiner“ Kunst zu
verlagern, nämlich weg vom autonomen Artefakt und hin auf eine Art praktischen
Erfahrungseffekt, den Benutzer seiner Gerätschaften (z.B. ein Fluggerät zur
Herstellung von Schwerelosigkeit) – vielleicht – machen konnten, um so ein
Glücksmoment zu erfahren. Nicht um eine Ausstellung für sich stehender
Kunstwerke ging es hier also, vielmehr um unterstützende Dienste an einer
geneigten Klientel.
Um Marcel Duchamp zu bemühen ist Kunst, was der/die
KünstlerIn hinsichtlich seiner/ihrer Äußerungen als solche bezeichnet. Mit
zunehmender Akzeptanz eines erweiterten Begriffs von Kunst, reicht die
Dematerialisierung (Thomas Dreher) bzw. Immaterialisierung davon, was heute
unter Kunst subsumiert wird, von der Konzeptkunst bis in die prozessorientierte
Kunst und führt dabei – kurz gefasst – zu mehr oder weniger deutlichen
Überschneidungen mit oder Thematisierungen von sozialen und politischen Fragen,
inbegriffen dabei Arbeitsweisen, die den Naturwissenschaften, der Ökologie und
Ökonomie (Art-Based Research) entlehnt sind. Nebenbei erwähnt schließt sich
hier fallweise auch ein Kreis zum schon einmal der Kunst nah gestandenen
Handwerk.
Die Künstler Karin Sajer und Jani W. Schwob nun richten
Aktion und Ausstellung ihres Projekts Arriba
y Abajo zunächst an PassantInnen in der Grazer Innenstadt. Mehrere
AkteurInnen – ebenfalls KünstlerInnen, die sich bereit erklärt haben, an Arriba y Abajo mitzuarbeiten – bieten
an, den Menschen auf der Straße kostenlos ihre Schuhe zu putzen. Eine
Dienstleistung, wie sie in Mitteleuropa nur höchst selten angeboten wird.
Dagegen gehören Schuhputzer, meist Kinder, in Lateinamerika allerdings zum
gewohnten Straßenbild der Städte.
Seit 2004 fördern Sajer und Schwob mit der von ihnen
gegründeten Organisation {vamos ! gemma}in Leon, Nicaragua, Straßenkinder und
ermöglichen ihnen den Schulbesuch. Über etliche künstlerische Aktionen, auch
unter Beteiligung der Kinder in Leon, wurden in den vergangenen Jahren die
dafür erforderlichen Mittel lukriert.
Das Bild der Schuhputzer in Leon – zumeist Kinder, die so
für das Einkommen ihrer Familien sorgen – wird in den öffentlichen Raum der
Stadt Graz übertragen. Symbolträchtig dabei ist auch die Situation, dass sich
der Schuhputzer – in Leon wie in Graz – zur Leistung seines oder ihres Dienstes
gegenüber dem, der (der/die selbstverständlich) es sich leisten will (kann?) in
eine scheinbar unterwürfige Haltung begeben muss: oben Kundschaft, unten
Dienstleister, man blickt hinauf, man blickt hinab oder, von unten gesehen,
herab und vice versa. Soziale Situationen respektive Gefälle in Nicaragua
müssen hier nicht ausführlich beschrieben werden; im Grazer Zusammenhang und
mit den ausführenden Künstlern rührt die hier symbolische Aktion an mehrere
Aspekte gesellschaftsrelevanter Fragen: Geht die Schere weiter auf? Befinden
wir uns auf einem Weg zur Zweiklassen-Gesellschaft? Kann Kunst (direkt oder
metaphorisch), weil KünstlerInnen s.o., Gewahrwerden provozieren? Sind
KünstlerInnen etwas wie Bittsteller an der Gesellschaft?
Wie auch immer. Sollte das Angebot, sich von KünstlerInnen
auf der Straße die Schuhe putzen zu lassen, nicht angenommen werden, so bleibt
immerhin der symbolträchtig künstlerische Akt, der im Rahmen der darauf
folgenden Ausstellung in der Galerie Grazy wohl diskutiert werden wird.
In der Folge ist Arriba
y Abajo natürlich an die betreuten Straßenkinder in Leon gerichtet. Im
Rahmen der das Projekt beschließenden Ausstellung in der Galerie Grazy der
Werkstadt Graz sollte gespendet werden um Kindern in Leon den Schulbesuch zu
ermöglichen. Dass Bildung und Glück einhergehen, ist fallweise durchaus denkbar
– unvollendetes Projekt glücklicher Mensch. Im Fall der Straßenkinder in Leon
wären es jedenfalls kleine Schritte dorthin und zwar über Lesen, Schreiben und
Rechnen.
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